09.05.2022
Die Stätte der Mahnung

Eine Stellungnahme des Gemeindekirchenrates der Stadtkirchengemeinde Wittenberg im März 2022

Die Stadtkirche Wittenberg ist mit einem reichen kirchen- und kunstgeschichtlichen Erbe gesegnet. Mit der "Mutterkirche der Reformation" sind Namen wie Martin Luther, Johannes, Philipp Melanchthon oder Lucas Cranach verbunden. Zum Erbe zählen auch zahlreiche Sandsteinreliefs an der Außenfassade, darunter eine Schmähplastik aus dem ausgehenden 13. Jahrhundert, die die Juden und ihre Religion verspottet. Dieses Schmährelief, die sogenannte „Wittenberger Sau“, ist weithin bekannt und bleibt für jede Generation ein beunruhigendes Erbe.


Die Stadtkirchengemeinde setzt sich mit kritischen Anfragen auseinander und begrüßt eine fortwährende Auseinandersetzung mit der Schmähplastik. Die Beschämung und der Widerstand, die durch die Schmähplastik ausgelöst werden, provozieren das Erinnern und Gedenken immer wieder neu.


Unverändert ist die Haltung der Stadtkirchengemeinde, dass die Schmähplastik heute ein schwieriges Erbe, aber ebenso Dokument der Zeitgeschichte ist. Es zeigt die mittelalterliche Judenfeindlichkeit, zu der sich auch der Reformator Martin Luther hinreißen ließ. Gott soll das jüdische Volk verworfen und die christliche Kirche erwählt haben. Heute distanziert sich die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland deutlich von der mittelalterlichen Substitutionstheologie. Die Treue Gottes gegenüber dem Volk Israel ist ungebrochen.


Die Wittenberger Stadtkirchengemeinde betreibt aktiv den mit diesem Erbe verbundenen Erinnerungsprozess. Bereits 1988 wurde unterhalb des Reliefs ein Denkmal gesetzt. Als Zeichen der Versöhnung wurde nach 1990 neben dem Denkmal eine Zeder aus Israel gepflanzt. Eine zweisprachige Erläuterungstafel weist auf die Problematik an diesem Ort hin.

Diverse Fachpublikationen erschienen zur Thematik. Jede offizielle Stadt- und Kirchenführung bezieht dieses Monument und seine besondere Geschichte ein.


An Gedenktagen, wie dem 09. November und dem 27. Januar, versammelt sich die Stadtöffentlichkeit zur Erinnerung an die Pogromnacht und den Holocaust an diesem Mahnmal.

Der Gemeindekirchenrat der Stadtkirche setzt sich für eine Weiterentwicklung dieser Stätte der Mahnung ein. Zur Unterstützung dieses Anliegens wurde ein Beirat gegründet. Über die Ergebnisse dieses Prozesses der Weiterentwicklung des Mahnmals durch diese beiden Gremien wird die Öffentlichkeit weiterhin informiert.

Der Gemeindekirchenrat der Stadtkirchengemeinde Wittenberg März 2022